Einblicke in eine aktuelle Studie zur Verbindung und Wiederentdeckung von Achtsamkeit und Kontemplation
«Achtsamkeit mitten im Leben», «Stressfrei durch Achtsamkeit», «Optimiere dein Leben durch Achtsamkeit», «Achtsamkeit in der Schule», «Achtsamkeit: Die neue Glücksformel», «Achtsam sprechen». Das sind nur wenige Titel von deutschsprachigen Veröffentlichungen der letzten Jahre zum Thema Achtsamkeit. Achtsamkeit(=Mindfulness) stellt ein exponentiell wachsendes Praxis- und Forschungsfeld dar.
Unser «Netz-Abt» Dave Jäggi hat sich kürzlich in einer Studie intensiv mit dem Forschungsfeld Achtsamkeit auseinandergesetzt. Dabei geht er insbesondere auf das Thema «Achtsamkeit in Höherer Bildung» (Mindfulness in Higher Education) ein.
Die gesamte Arbeit kann als PDF hier bei academia.edu kostenlos heruntergeladen werden.
Die zunehmende Globalisierung und Digitalisierung der Welt vor dem Hintergrund einer Klimakrise mit all ihren Folgen erfordert vom Menschen rasche Reaktionen als Antwort auf umwälzende Veränderungen. Das wachsende Interesse an der Achtsamkeit wird als «kollektive Selbstregulation» gedeutet.
In der Achtsamkeitspraxis werden Ruhe, Auszeiten, «Entfunktionalisierung» und Entschleunigung gesucht. Diese psychologisch gegründeten Feststellungen benennt Hartmut Rosa aus soziologischer Perspektive als Entfremdung des Menschen von der Welt aufgrund einer zunehmenden Steigerungsdynamik, die unsere gegenwärtige Zeit auszeichnet. Die Praxis der Achtsamkeit wäre hier eine Methode zur «Anverwandlung» der Welt und daraus folgender Resonanz zwischen Mensch und Welt. Nicht umsonst bezeichnet der Historiker und Bestsellerautor Yuval Harari die Achtsamkeitspraxis als einen von 21 Schlüsseln für das Leben im 21. Jahrhundert.
Bei der Achtsamkeitsmeditation (sati) handelt es sich um einen Pfad aus dem sog. Achtfachen Pfad, den die buddhistische Religion als Weg zur Überwindung von Leid lehrt und praktiziert. Diese Form der Meditation wurde anfangs der 1970erJahre im Westen aus dem Dharma (buddhistische Lehre) als Methode herausgelöst und so für die eigene Kultur kontextualisiert.
Aus theologischer Perspektive stellt Dave die Achtsamkeitspraxis in Beziehung zur christlichen Spiritualität. In der Tradition christlicher Kontemplation lassen sich diverse Parallelen zur Achtsamkeitspraxis (neu) entdecken wie z.B.:
- Das Anliegen, den Menschen eine Hilfe zur Überwindung von Leiden und Leid zu bieten.
- Dem Menschen in seiner Sinnsuche offen zu begegnen und einen möglichen Weg zu zeigen.
- Orte der Ruhe und Präsenz zu schaffen, damit der Mensch mit sich selbst, seinen Mitmenschen und der Schöpfung in eine resonante Beziehung treten kann.
- Unterstützung und eine konkrete Praxis zu bieten, wie sich Versöhnung von Beziehungen zwischen Mensch, Mitmensch, Schöpfung ereignen kann.
- Die Charakterbildung und damit die Menschwerdung des Menschen zu fördern.
- Die Veränderung des Individuums begleiten, welche zur Transformation von Gesellschaft und Strukturen führen soll.
Das Streben nach Achtsamkeit im Alltag und Methoden zur Achtsamkeit in der Gesellschaft können als Steilpass für die Kirche und ihre zweitausend Jahre alte Meditationspraxiserkannt werden. Dave formuliert in einer konstruktiv-kritischen Würdigung der gegenwärtigen westlichen Achtsamkeitspraxis zudem auch Anfragen an das Verständnis von «Mindfulness». So werden mancherorts überzogene soteriologische (die Erlösung betreffende) oder eschatologische (die Heilszukunft betreffende) Erwartungen geschürt, während ethische Wirkungen an den Rand gedrängt werden.
In seiner Studie kommt Dave zum Schluss, dass die Kirche gefordert ist, Anliegen, Ziel und Praxis der Achtsamkeit theologisch sowie bildungsphilosophisch kritisch zu würdigen und vor dem Hintergrund der eigenen mystischen Tradition zu evaluieren. Wertvolle Impulse aus der Auseinandersetzung mit Achtsamkeit können zur (Wieder-)Entdeckung der eigenen Tradition christlicher Kontemplation führen, die als anschlussfähige Spiritualität in einer säkularen, aber suchenden Welt erkannt wurde.
Diese Verbindung und Wiederentdeckung wertvoller Übungen und Erkenntnisse aus der Achtsamkeitstradition und der christlichen Kontemplation gewinnbringend zu vereinen und gleichzeitig Unterschiede nicht einzuebnen, ist das Ziel der unterschiedlichen Angebote bei netzkloster.