Was andere sagen: Eine achtsame Spiritualität einüben im Netzkloster
Der folgende Bericht erschien am 21.05.2021 bei EMK-Schweiz (siehe hier).
Neben mir surrt leise mein Netzwerkspeicher. Irgendwo im Haus sind die Stimmen meiner Familie zuhören. Ich stecke meine Kopfhörer ins Ohr und klicke den Zoom-Link an. Dave Jäggi, methodistischer Pfarrer bei venue in Diessenhofen, hat mich eingeladen zur «Inspectio», einem Infotreffen für Leute, die sich für eine Teilnahme an den Angeboten des Netzklosters interessieren.
Ausser mir nehmen 16 interessierte Personen teil. Sie kommen aus der Schweiz und aus Deutschland. Die meisten sind, wenig überraschend, eher jünger als ich. Dave Jäggi nimmt uns mit in eine kurze Stilleübung. Ungewohnt ist diese Mischung aus miteinander und doch je für sich. Ich in meinem Büro, andere in irgendwelchen Räumen ihrer Wohnungen oder Häuser. Atmen, wahrnehmen, fokussieren. Ein Bibelwort aufnehmen. Wieder zurückkommen.
Ein kurzer Überblick
Jäggi gibt im Anschluss einige grundsätzliche Informationen: Kontemplation, warum? Was bewirkt das? Was sagt die Forschung? Er stellt die Ziele des Netzklosters sowie Ablauf und Programm des dreimonatigen Kurses «Novatio» vor. Manche Teilnehmer/innen haben noch Rückfragen. Unter ihnen sind einige, die schon vielfältige Erfahrungen haben mit einer meditativen Praxis. Viele haben einen christlichen Hintergrund, einige auch nicht.
«Der Kurs hat mireinen neuen und anderen Zugang zu Gott gegeben, den ich davor nicht kannte, aber annehmen kann.» (Daniel)
Im September startet der zweite Durchgang der Novatio. Der erste ist abgeschlossen. Die Rückmeldungen aus diesem ersten Durchgang sind sehr gut. Das Ziel, das Jäggi mit dem Netzkloster verfolgt, wurde bei den ersten Teilnehmer/innen erreicht. Ihre spirituelle Praxis hat sich verändert – und ebenso ihre Vorstellungen von Gott.
Spiritualität des Nichtstuns
«Mir wurde bewusst, wie reich die Fülle an unentdeckten Praktiken, Gebetsformen, traditionellen und geschichtlichen Hintergründen der christlichen Spiritualität ist», sagt eine Kursteilnehmerin. Ein anderer sagt, er pflege jetzt «eine viel tiefere Spiritualität ‹des Nichtstuns›» und ergänzt: «Ich merke, wie wohltuend es ist, dass ich – entgegen meiner christlich sozialisierten Erziehung – gelassener auch einfach ‹sein› kann».
Mutiger als gedacht
Ursprünglich sollte die «Novatio» des Netzklosters in einem Wechsel von Treffen vor Ort und virtuellen Sequenzen stattfinden. Doch es kam anders. «Mich hat erstaunt, dass es wirklich sehr gut gegangen ist, das ganze online durchzuführen», sagt mir Jäggi in unserem Gespräch. «Vermutlich hätte ich nicht den Mut dazu gehabt, das so zu machen, wenn das nicht durch die Corona-Situation so gefordert gewesen wäre.»
Hauptsächlich online
Für den neuen Durchgang sind nur noch zwei Präsenzveranstaltungen vorgesehen, ein Einführungstag am Anfang und ein Übungstag gegen Ende. Alle weiteren Treffen finden online statt. Mindestens fünf, maximal zehn Teilnehmer/innen sollen an dieser «Novatio» teilnehmen. Bis zum Start im September findet auch die «Inspectio», also der Infoabend noch zwei weitere Male statt: am 26. Mai und am 1. Juli.
«Der Kurs richtet sich vor allem an solche, die ihre Spiritualität auf ein neues Level heben und eine Zeit lang mit Gleichgesinnten ausserhalb der eigenen Komfortzone unterwegs sein möchten.»(Simeon)
«Aus der Inspectio im April ergaben sich einige Kontakte», erzählt Jäggi. Mit einigen Leuten habe er Gespräch geführt. «Seelsorge im Vorbeigehen» nennt er das. Manchmal brauche es gar nicht mehr: ein oder zwei Gespräche, Hinweise auf Literatur.
Regelmässiges Tagzeitengebet
Neben der Novatio, die als Kurs aufgebaut ist, findet immer mittwochs um 07.30 Uhr das Morgengebet Laudes statt. Auch dieses Treffen erfolgt online. Momentan nehmen sechs Personen am Angebot teil. In der Leitung der Treffen wechseln sich die Teilnehmer/innen ab. Ab Juni wird es ausserdem alle 14 Tage abends das Angebot einer Komplet geben. Neben der Stille finden hier auch das persönliche Gespräch und ein inhaltlicher Impuls zu Themen von Kontemplation, Meditation, Mystik und Spiritualität ihren Platz. Im Herbst ist ein Übungstag vor Ort geplant für Leute, die an Laudes und Komplet teilnehmen.
Netzkloster als Übungsraum
Inzwischen gibt es zum Netzkloster eine neue Website, auf der sich Interessierte informieren können. Wie durch die Form der gelebten Spiritualität bei Netzkloster will auch die Website Tradition und Moderne zusammenbringen und daraus Neues entstehen lassen. Ein kurzes Video erklärt die Idee des Netzklosters.
Der erste Durchgang der «Novatio» hat Jäggi in seiner Idee bestärkt. «Das war ein positives Erlebnis, das mich dazu ermutigt hat weiterzumachen», sagt er. Ab September sollen nun also weitere Leute in der «Novatio» einen Ort erhalten, an dem sie eine (neue) spirituelle Praxis einüben können.