Die lange Tradition christlicher Achtsamkeit: Mit Übersichtsdiagramm zum Download
Die Kirchengeschichte der letzten 2000 Jahre zeigt zahlreiche Beispiele von Menschen, die eine kontemplative / achtsame Spiritualität entwickelt und praktiziert haben. So schreibt Stefan Reynolds:
Achtsamkeit [Mindfulness] war nicht nur eine Praktik, die von Jesus gelebt und heute wieder entdeckt wird. Es handelt sich um eine Praxis der Kirche durch die Jahrhunderte, obwohl diese oft auch vernachlässigt und unterdrückt wurde.
Obwohl oft die Bezeichnung Kontemplation für diese Form christlicher Spiritualität verwendet wurde und bis heute verwendet wird, kann diese Praxis auch definiert werden als «das bewusste Schauen auf die Gedanken in einer achtsamen Haltung» (Tom Schwanda). Damit ist eine kontemplative Haltung immer auch eine achtsame Haltung, wenn Achtsamkeit in der gegenwärtigen Literatur definiert wird als:
eine Seinsweise, in der man sehr bewusst und auf die Wirklichkeit des gegenwärtigen Moments fokussiert ist und diesen akzeptiert und anerkennt. Dabei verfangen wir uns nicht in Gedanken über die Situation oderemotionale Reaktionen auf die Situation (Mirabai Bush).
Achtsamkeit, die in einer christlichen Erzähltradition praktiziert wird, kann davon ausgehend so definiert werden:
Achtsamkeit in christlicher Tradition ist eine Seinsweise der Wahrnehmung mit der Intention, Gott, sein Werk und Wesen, unsere Beziehungen und unsere innere Welt der Gedanken und Gefühle wahrzunehmen (Charles Stone).
Diese Form christlicher Spiritualität nahm ihre Anfänge bereits bei den Wüstenmüttern- und Vätern in den ersten Jahrhunderten nach Christus. Die Wüste wurde als Ort gesehen, der Freiheit von Ablenkungen, die Entwicklung eines unabhängigen Glaubens und einer resilienten Spiritualität erlaubte. Das Widerstehen bei Versuchungen und die Kultivierung einer zunehmenden Liebe zu Jesus Christus waren die zu erreichenden Lebensziele der Wüstenväter und -Mütter. Sie sahen sich als Nachfolger:innen von Johannes dem Täufer und Jesus, die beide in der Wüste ihren Charakter entwickelten sowie Glaube und Sinne schärften.
Aus dieser Zeit wurden viele Einsichten in das Selbst und das menschliche Bewusstsein überliefert, lange bevor die Psychologie diese Erkenntnisse in neuerer Zeit bestätigte. Die Schriften aus dieser Zeit zeigen eine intensive Auseinandersetzung mit einem achtsamen / kontemplativen Lebensstil. Für diese Menschen ging es in der Nachfolge weniger um ausgefeilte Praktiken als vielmehr um Selbsterkenntnis und innere Wachsamkeit.
Aus diesen Anfängen christlicher Achtsamkeit in der Wüste erwuchs die kontemplative Tradition, die ihre Fortsetzung über beinahe 2000 Jahre bis heute findet. Die Linie führt vom Kirchenvater Origines über Augustinus, den Gründer des Benediktinerordens Benedikt von Nursia, Teresa von Avila oder Thomas Merton bis in die Gegenwart mit Richard Rohr oder dem Schweizer katholischen Theologen Simon Peng-Keller.
Hier findest du das Netzkloster-Übersichtsdiagramm mit den wichtigsten Vertreter:innen der Linie christlicher Achtsamkeit zum Download.
Wer weshalb auf dieser Übersicht aufgeführt ist und was sein / ihr spezifischer Beitrag zur Entwicklung der Traditionslinie war, das erfährst du im Meditationskurs Novatio (Infos hier)!