Die heilende Kraft der Gleichnisse führt zum Einklang mit dir selbst und Gott
Wenn du an die Gleichnisse Jesu im Neuen Testament denkst, was kommt dir in den Sinn? Nette Geschichten aus der Sonntagschule? Sich wiederholende Predigten zum Gleichnis des verlorenen Sohnes? Sich wiederholende Antworten auf die Frage nach Rettung vs. Verlorenheit in der Ewigkeit? Oder einfach komplizierte Metaphern ohne Relevanz für das Leben?
Der Benediktiner-Mönch und bekannte Schriftsteller Anselm Grün lässt die Gleichnisse neu sprechen. Er sieht sie als eine Art «Gesprächstherapie», durch die Jesus unser Selbstbild und unsere Gottesbilder heilen will. Die Gleichnisse erachtet Grün deshalb für uns heute als relevant, weil sie helfen, das eigene Leben zu reflektieren «und so zu einem gesunden Verhältnis zu uns selbst zu kommen».
Vor rund 10 Jahren hat Grün eine Sammlung von Auslegungen zu Gleichnisreden und Wundergeschichten Jesu herausgegeben, die letztes Jahr bereits in die siebte Auflage ging:
«Jesus als Therapeut: Die heilende Kraft der Gleichnisse»
Grüns kurzen, prägnanten Auslegungen zu den bekannten Gleichnissen und Geschichten eröffnen eine neue Perspektive. Grün trägt als Ausleger die Brille der Psychologie (u.a. oft C.G. Jung / Eugen Drewermann) und kommt damit zu überraschenden Erkenntnissen.
Gleichnisse als bekannte Form der Therapie in der Antike, also zur Zeit Jesu, haben die Kraft, die Hörenden und Lesenden zu transformieren:
«Indem Jesus Gleichnisse erzählt, geschieht beim Hörer eine innere Verwandlung. Er öffnet sich den Worten Jesu, weil er fasziniert ist. Und unmerklich führt in Jesus auf eine andere Ebene. Auf einmal hat der Hörer ein ‘Aha-Erlebnis’, ihm geht ein Licht über sich selbst auf.»
In Gottes Gegenwart bei sich selbst ankommen ist das Grundanliegen Grüns mit seinen Auslegungen. Der Mensch söhnt sich im Licht Gottes mit seinen eigenen Schatten aus. Erst wo dies geschieht und der Mensch lernt, im Vertrauen sich selbst zu lieben, weil er sich von Gott geliebt weiss, kann der Mensch Gott und seine Nächsten angstfrei und aufrichtig lieben:
«Jesus heilt durch Erzählen. Er heilt durch Worte, die unser Herz für die eigene Wahrheit für Gott aufbrechen, der der eigentliche Arzt für unsere Seelen ist».
Das Buch hat mir geholfen, mich neu und anders den Gleichnissen zu nähern. Ich habe gespürt, wie die biblischen Texte durch Grüns Auslegung neu zu mir sprechen. Es sind nicht nur nette Geschichten mit Jenseitscharakter oder Transportmittel für eine ausgefeilte Dogmatik. Die Gleichnisse sprechen ins Jetzt und formulieren grundlegende Lebensthemen, die mich als Mensch angehen.
Ich merke einmal mehr, dass ich selbst immer wieder Heilung brauche. Und ich werde gewahr, wo ich die Heilung finde. Ein kurzes Zitat zum Gleichnis der verlorenen Drachme kann dies deutlich machen (Lukas 15,8-10):
«Vor lauter äusserem Tun haben wir die Drachme verloren. So führt Gott uns in die Krise, in das ‘Gedränge’, um in uns die Drachme zu finden: unser wahres Selbst. Er führt uns in den Seelengrund. Dort entdecken wir die Drachme, das ursprüngliche Bild Gottes in uns.»
Die kurzen Auslegungen helfen mir, meinen inneren Fokus zu finden. Mit diesen Gedanken begebe ich mich in die Stille der bildlosen Meditation, mit Achtsamkeit auf Atem und Atemwort «Jesus Christus». Ich komme im Licht Gottes bei mir selbst an. Die Heilung in meinem Inneren kann sich in der Stille vertiefen.
Anselm Grün 2020. Jesus als Therapeut: Die heilende Kraft der Gleichnisse. 7. Aufl. Münsterschwarzach: Vier-Türme-Verlag. 160 Seiten.